Wir schreiben das Jahr 2020. Unsere PCs können längst mehr Zeichen als ASCII (Stichwort Unicode), Microsoft Word ersetzt standardmäßig gerade Anführungszeichen durch typographische, es gibt jede Menge gut ausgebaute Schriftarten fürs Web (auch Open Source und kostenlos), es gibt jede Menge auch für Laien verständliche Bücher über Schrift und last, but not least tolle Webseiten mit Wissen über die „schwarze Kunst“.
Trotzdem servieren uns immer noch auch renommierte Webseiten haufenweise Texte ohne typographisch korrekte Anführungszeichen. Und das ärgert mich. Es geht dabei wohlgemerkt nicht um mein persönliches ästhetisches Empfinden – nein, Typographie hat letztendlich immer das Ziel, Texte möglichst leserlich zu gestalten. Und das doppelte Kodierungszeichen, das sich noch aus Zeiten der mechanischen Schreibmaschine auf unseren Computertastaturen findet, ist dabei hinderlich.
Es hat mich ehrlich gesagt schon ziemlich umgehauen, dass ausgerechnet der Spiegel es bei seiner über drei Jahre entwickelten neuen Webseite nicht geschafft hat, dem Backend ordentliche Anführungszeichen beizubringen:
Nachdem mir das aufgefallen ist (und ich auch entsprechendes Feedback übermittelt habe), habe ich mir ein paar andere große Medien-Outlets auf die typographische Qualität ihrer Anführungen hin näher angeschaut. Die hiesige SZ zeigt leider auch nur doppelte Kodierungszeichen statt korrekter Anführungszeichen:
Marginal besser sieht es bei ZEIT Online aus. Dort gibt es zumindest vereinzelt Artikel mit korrekten Anführungszeichen. Das Gros wird aber auch hier mit doppelten Kodierungszeichen ausgegeben:
Der Tagesspiegel punktet zumeist mit korrekter Anführungszeichen-Typographie, hat aber auch immer wieder negative Ausreißer dazwischen:
Vorbildlich sind die Anführungszeichen auf der Webseite der taz (deren CMS laut Seitenquelltext auf TYPO3 basiert):
Und auch die BILD-Zeitung schafft das, genauso wie die Welt:
Deutschlands vermutlich führende Technologieseite heise online wiederum (sie läuft auf Interred) liefert nur die doppelten Kodierungszeichen:
Beim Marktbegleiter Golem.de sieht es leider nicht besser aus:
Immerhin: die selbsternannten digitalen Pioniere von t3n (die Webseite läuft m. W. auf Neos und immer noch ein bisschen WordPress) können typographische Anführungszeichen:
Insgesamt ein sehr gemischtes Bild.
Was also tun? Allen, die Texte schreiben, rufe ich zu: Liefert die Ergebnisse Eurer Arbeiten mit korrekten Anführungszeichen ab. Fordert ein, dass diese im Netz genauso korrekt angezeigt werden wie in Druckerzeugnissen. Das ist nämlich sehr wohl möglich.
Umgekehrt mein Appell an alle, die mit der digitalen Seite von Schrift befasst sind: Sorgt dafür, dass Eure Webseiten, Content-Management-Systeme, Plugins und Fonts die vielfältigen Möglichkeiten unterstützen, die es mittlerweile wieder gibt. Bei Anführungszeichen und überhaupt.
Insgesamt wünsche ich mir, dass sich mehr Menschen für Schrift und Typographie interessieren und sich damit beschäftigen. Für den Einstieg empfehle ich Euch mal den Klassiker Erfreuliche Drucksachen durch gute Typographie von Jan Tschichold (von früher™, als es noch keine Computer auf Schreibtischen gab) sowie Schrift wirkt! von Jim Williams und Gesine Hildebrandt, erschienen im Verlag Hermann Schmidt Mainz, Deutschlands erster Adresse für Bücher rund um Schrift und Gestaltung. Dort dürft Ihr Euch dann gern weiter umschauen, wenn Ihr erstmal angefixt seid 😉
Durch die Digitalisierung des Schreibens und des Druckens mit ihren anfangs extrem beschränkten Möglichkeiten ist einfach zu viel Wissen in diesem Bereich verschütt gegangen. Dem sollte man nicht nachtrauern, sondern es sich (mit zeitgemäßen Ergänzungen) einfach wieder aneignen. Das macht sogar richtig Spaß. Versprochen.