Nokia Lumia 920: Neues Smartphone-Schwergewicht

Lumia 920 auf der Waage (stereoscopic)

Seit Samstag habe ich ein Lumia 920 von Nokia zum Testen da, das aktu­el­le Flaggschiff des fin­ni­schen Herstellers mit dem neu­en Windows Phone 8 von Microsoft. In Weiß und Hochglanz. Tags zuvor war schon eines in Mattschwarz ein­ge­tru­delt (was mir per­sön­lich bes­ser gefällt); das war aller­dings irgend­wie DOA und moch­te nicht über die fünf Buchstaben NOKIA hin­aus starten.

Schon beim ers­ten Hochheben ist mir auf­ge­fal­len: Das Lumia 920 hat Gewicht. 188 Gramm laut mei­ner Küchenwaage. Zum Vergleich: Das iPhone 5 wiegt 113 Gramm. 188 Gramm geben defi­ni­tiv ein ganz ande­res Gefühl in der Hand. Ein durch­aus wer­ti­ges im Übrigen, zu schwer ist mir das Lumia nicht. Eher schon das iPhone 5 zu leicht. Mein „Idealgewicht“ liegt ver­mut­lich irgend­wo dazwischen.

Nokia Lumia 920 Unterseite (bromide)

Zum durch das schie­re Gewicht erzeug­ten Eindruck der Wertigkeit passt die Verarbeitung des Lumia 920 genau. Nokia konn­te immer schon Hardware, und das ist hier nicht anders. Das Polycarbonat-Gehäuse aus einem Guss („Unibody“) ist äußerst prä­zi­se ver­ar­bei­tet und schaut sehr schön aus. Ich kann nicht ver­heh­len, dass mir das mit dem N9 erst­mals ein­ge­führ­te neue Design aus Espoo wirk­lich gut gefällt.

Mein ers­tes Test-Lumia war ein 800 mit WP7 und spä­ter 7.5. Das gefiel mir ganz beson­ders gut wegen sei­nes gewölb­ten Display-Glases. Irgendwann habe ich das gegen das grö­ße­re 900 ein­ge­tauscht, bei dem das Glas lei­der voll­kom­men plan war. Mit dem 920 kehrt Nokia dan­kens­wer­ter­wei­se wie­der zur Wölbung zurück. Allerdings ist das Glas dabei von einem schma­len Rahmen ein­ge­fasst, der mir per­sön­lich nicht so gefällt, weil er den Eindruck des Nahtlosen irgend­wie zerstört.

Nokia Lumia 920 Ecke mit Logo (noir)

Besonders laut rührt Nokia bei den neu­en Lumias die Werbetrommel für ihre „Pureview“-Kamera. Pureview ist mitt­ler­wei­le aller­dings „nur“ noch ein Marketing-Name für diver­se bild­ver­bes­sern­de Technik – die Kamera im 920 hat nichts mit dem 41-Megapixel-Sensor des Symbian-808 zu tun. Vielmehr han­delt es sich um einen 8‑Megapixel-Sensor mit davor schwim­men­der Carl-Zeiss-Linse. Die opti­sche Bildstabilisierung ermög­licht es, bei schlech­ten Lichtverhältnissen län­ger zu belichten.

Für aus­führ­li­che Foto-Tests hat­te ich bis­lang kei­ne Zeit. Ich kann aber schon jetzt ein­deu­tig bestä­ti­gen, dass das Lumia 920 in dunk­len Innenräumen und bei Nacht drau­ßen deut­lich bes­se­re Bilder macht als jedes ande­re Smartphone, das ich bis­her in Händen hat­te. Bei nor­ma­len (Tages-)Lichtverhältnissen kann ich dage­gen kei­ne beson­de­re Überlegenheit gegen­über bei­spiels­wei­se dem iPhone fest­stel­len, das eben­falls mit 8 Megapixeln daherkommt.

Nokia Lumia 920 Kamera (noir)

Das Display des Lumia 920 (sie nen­nen es „Puremotion HD+“) soll laut Nokia ja das hells­te, schnells­te und touch-sensibelste über­haupt sein. Das hells­te ist es mei­ner Einschätzung nach nicht. Es lässt sich aber bei Tageslicht im Freien sehr gut able­sen – was ja kei­nes­falls selbst­ver­ständ­lich ist – und ist mit sei­ner hohen Pixeldichte , noch höher als bei Apples „Retina“ übri­gens, gesto­chen scharf.

Zumindest bei mei­nem Testgerät habe ich aber den Eindruck, dass die unte­re rech­te Ecke des Bildschirms ein klit­ze­klei­nes biss­chen dunk­ler ist als der Rest bezie­hungs­wei­se eine mini­ma­le Verfärbung auf­weist. Könnte mit der Hintergrundbeleuchtung zusam­men­hän­gen und ist nur dann sicht­bar, wenn der Screen weiß ist; etwa beim Lesen von Emails. Ist aber kein Drama.

Nokia Lumia 920 seitlich (bromide)

Die seit­li­chen Knöpfe für Ein/Aus, Lauter/Leiser und Kamera sind übri­gens (wie auch die Kameraabdeckung) aus Zirkonium und wackeln und klap­pern kein biss­chen. Das war beim 800 damals noch ganz anders…

Wireless Charging konn­te ich bis­lang noch nicht aus­pro­bie­ren, da kein sol­ches Ladegerät zum Lieferumfang gehört und ich auch kei­nen Induktionsherd habe.

Ihr habt sicher gemerkt: Die Hardware gefällt mir. Kommen wir also mal zur Software. Die erscheint mir noch etwas, sagen wir: unaus­ge­reift. Mein Test-Lumia star­tet unge­fähr zwei Mal pro Tag grund­los und nicht repro­du­zier­bar neu. Ob das an WP8 oder der gerä­te­spe­zi­fi­schen Software von Nokia liegt, kann ich man­gels Vergleichsmöglichkeiten nicht beur­tei­len. Ich hof­fe jeden­falls, dass es einer der bei­den Partner mit einem bal­di­gen Update behebt.

Windows Phone als Plattform hat mir von Beginn an gut gefal­len. Das hat sich mit Version 8 auch nicht geän­dert, im Gegenteil. Das Design-das-nicht-mehr-Metro-heißen-darf mit viel Typographie, die neu­en Paradigmen wie Hubs und Live-Kacheln und vie­le gute Ideen im Detail heben sich erfri­schend von der Konkurrenz ab. Die ent­schei­den­den Verbesserungen von WP8 ste­cken unter der Haube, Stichwort Hintergrundprogramme. Dass man jetzt auf der Startseite die Kacheln in drei statt zuvor zwei Größen haben kann, fin­de ich per­sön­lich eher unwich­tig. Mit Minikacheln kann man zwar ein biss­chen mehr auf dem Startbildschirm unter­brin­gen, schafft aber auch deut­lich mehr opti­sche Unruhe. Nicht meins; das kann man aber sehr wohl auch anders sehen. Bjoern Kaas emp­fiehlt zum Anordnen jeden­falls die „Goldene Spirale“ – inter­es­san­te Idee.

Ein paar Details wur­den aber auch ver­schlimm­bes­sert, fin­de ich. Zum Beispiel kann man im reno­vier­ten Windows Phone Store weder auf dem Telefon noch im Web mehr alle neu ver­öf­fent­lich­ten Apps durch­fors­ten. Die Rubrik „Neu + ange­sagt“ ist (von wem auch immer) redak­tio­nell betreut. Vermutlich wur­de das gemacht, damit nicht mehr so sehr auf­fällt, wie viel Schrott-Apps Microsoft in den Store lässt, um die schie­re App-Zahl so schnell wie mög­lich zu erhö­hen. Leider ist das ja qua­si das ein­zi­ge Kriterium, mit dem die Angebote von Apple, Google und Windows Phone da ver­gli­chen wer­den. Außerdem lädt die Bing-Suche zuerst ein­fach Bilder und Videos statt Weblinks. Da freut sich der Carrier über den Traffic (so wie auch bei den neu­en Live-Apps auf dem Sperrbildschirm). Vielen Dank auch.

Microsoft und Nokia hin­ge­gen bemü­hen sich nach Kräften, mög­lichst vie­le der auf ande­ren Plattformen popu­lä­ren Apps auch für Windows Phone anbie­ten zu kön­nen. Popularität ist aber lei­der sehr rela­tiv. Ich muss jeden­falls für mich kon­sta­tie­ren, dass vie­le der von mir auf iPhone und/oder Android am häu­figs­ten genutz­ten Apps für Windows Phone nicht erhält­lich sind. Google+, Path und Pinterest zum Beispiel, Flipboard und Dropbox und Readability, iA Writer und Tweetbot (Twitter-Clients für Windows Phone ist ein ganz schwie­ri­ges Thema), Any​.DO und Brewster, aber auch deut­sche Angebote wie Lufthansa oder flinc.

Microsoft ist als Letzter der drei aktu­ell Großen gestar­tet und ent­spre­chend im Rückstand. Ob sich das dadurch wirk­lich ändern wird, dass Entwickler nun ein­fa­cher Apps für den Windows-8-Startbildschirm und Windows Phone 8 schrei­ben kön­nen und über­haupt WP8 viel inter­es­san­ter für Developer gewor­den ist, zum Beispiel durch Unterstützung für nati­ve code, das bleibt einst­wei­len abzu­war­ten. Ich freue mich jeden­falls schon auf den Tag, an dem das ers­te coo­le Social-Web-Startup eine App zuerst für Windows Phone her­aus­bringt. Dazu muss aller­dings der Marktanteil erst ein­mal deut­lich stei­gen; im drit­ten Quartal wur­den welt­weit mehr Geräte mit Samsung Bada ver­kauft als Windows Phones

Was Microsoft und Nokia der­zeit an Apps ver­öf­fent­li­chen, kann sich jeden­falls durch­aus sehen las­sen. Die Vorabversion von Skype gefällt mir zum Beispiel gut, Nokia Bus und Bahn und die diver­sen Zusatz-Apps für mehr Kamerafunktionen eben­so. Und nach der Ankündigung von HERE kommt bestimmt noch eine Menge Spannendes nach.

Ein ganz dickes Plus der Lumias sind ja immer schon die Kartenanwendung, die mit WP8 jetzt im System ver­an­kert ist und die damit auch ande­re Apps nut­zen kön­nen, und die Navigation („Nokia Drive+ Beta“ aktu­ell). Die spei­chern, was vie­le glau­be ich noch immer nicht wis­sen, das Kartenmaterial auf dem Gerät. Es lässt sich dann auf Wunsch voll­stän­dig off­line ver­wen­den, sprich: im Ausland ohne Roaming-Kosten. Ein Vorteil, den man gar nicht hoch genug bewer­ten kann.

Noch ein wenig rät­sel­haft fin­de ich, dass ich beim Lumia 920 ziem­lich häu­fig „Kein Empfang“ auf der Telefonkachel ste­hen habe. Immer nur sehr kurz, aber auf­fäl­lig oft. Auch an Orten, wo weder das iPhone 5 noch das Galaxy S III das Netz ver­lie­ren. Außerdem habe ich noch nie „LTE“ als Netzanzeige gesich­tet. Ich habe bei mei­nem Telekom-Vertrag die LTE-Speed-Option nicht zuge­bucht, viel­leicht liegt es dar­an. Das iPhone aller­dings zeigt mir im glei­chen Complete L regel­mä­ßig an, dass es sich via 4G ein­bucht. Bei wel­chem der bei­den Geräte das jetzt Bug oder Feature ist, weiß ich lei­der auch nicht.

So, ich kom­me mal zum Schluss für heu­te. Mein Fazit: Klasse Hardware, schö­ne Plattform (bei flickr habe ich einen Batzen Screenshots depo­niert), aber noch zu weni­ge Apps. Beziehungsweise für mich noch nicht alle rich­ti­gen und wich­ti­gen. Da ist noch Luft nach oben.

7 Kommentare

Kilian 14. November 2012 Antworten

Hallo Thomas,

net­ter und umfang­rei­cher Artikel zu Nokias Flagship. Eine Sache fehlt mir jedoch in dei­nem Artikel, ich ver­mis­se näm­lich eine Komplett-Ansicht des Nokia Lumia 920. 

LG

Kilian

teezeh 14. November 2012 Antworten

Hallo Kilian,

berech­tig­te Kritik. Aber es gibt wahr­lich genug Fotos von dem Gerät bei Nokia und anders­wo im Netz. Ich habe mich auf ein paar Details beschränkt, die mir wich­tig waren. Und die ich mit mei­nen beschei­de­nen Mitteln hier auch auf die Schnelle rea­li­sie­ren konnte… 

Basti 3. Dezember 2012 Antworten

Moin,

konn­test du das kein-Netz pro­blem lösen? Das tritt bei mir auch stän­dig auf und ist auf die dau­er ziem­lich nervig. 

teezeh 3. Dezember 2012 Antworten

Moin,

ich per­sön­lich konn­te das Problem nicht lösen. Nachdem Nokia das Gerät bei mir getauscht hat, habe ich es aber deut­lich weni­ger. Frag mich nicht warum… 

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